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Gesperrter Versalsatz in Überschriften und Inhaltsverzeichnis

Hallo,

seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit dem Sperren von Großbuchstaben. Ich sehe das zwar in der freien Wildbahn so gut wie nie, aber in Tschicholds grünem Meisterbuch (von 1952, wirkt stellenweise irgendwie dogmatisch) wird plausibel begründet, warum das nötig sei.

Wenn man nun Versalsatz in Überschriften verwendet und sperrt, was passiert dann im Inhaltsverzeichnis? Dort wird dann automatisch auch gesperrt, aber ich bin mir nicht sicher, ob dort der Schriftgrad berücksichtigt wird. Wenn man den Grad der Sperrung in pt angibt wahrscheinlich nicht, aber wie sieht es mit em aus?

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Bild von Markus Kohm

Wenn Du willst, dass abhängig von der Schriftgröße gesperrt wird, dann ist em die richtige Einheit. Allerdings solltest Du auch noch sicher stellen, dass die durchschnittliche Sperrung nicht unter 1,5 pt liegt (schreibt Tschichold in »Erfreuliche Drucksachen durch gute Typographie«). Eventuell wird es besser, wenn Du den Text für das Inhaltsverzeichnis und den Kopf via optionalem Argument des Gliederungsbefehls getrennt sperrst (ab der nächsten KOMA-Script-Version kannst Du das sogar für Überschrift, Inhaltsverzeichnis und Kolumnentitel getrannt machen).

Übrigens: In den Erfreulichen Drucksachen schreibt Tschichold außerden: »Versalien sollten nur selten angewandt werden.« Vielleicht wäre es also gut, zumindest im Kolumnentitel und Inhaltsvereichnis darauf zu verzichten.

Sperren solltest Du natürlich mit \kern, nicht mit \hspace.

Woher kommen diese 1,5pt? Darauf hab ich bis jetzt nicht geachtet. Ich bin da eher dem gegangen, was Tschichold im Meisterbuch Rhythmus nennt, also sowas wie subjektive Gleichmäßigkeit im Abstand vertikaler Linien im Wort. Folgender Code

\documentclass[papersize,DIV=calc]{scrartcl}
 
\usepackage[utf8]{inputenc}
\usepackage[T1]{fontenc}
\usepackage[german]{babel}
 
\renewcommand{\rmdefault}{pplj}
\pdfmapfile{+frutiger.map}
\renewcommand{\sfdefault}{lfrj}
 
\usepackage{blindtext}
 
\recalctypearea
\begin{document}
\tableofcontents
\section{K\kern0.1emO\kern.12emM\kern.11emA – K\kern1.5ptO\kern1.8ptM\kern1.6ptA}
\blindtext
\end{document}

erzeugt dieses Dokument. Wie sieht das aus? Mir gefällt das jeweils linke »KOMA« besser, wobei die Unterschiede in der Überschrift gering sind, im Inhaltsverzeichnis weniger. Im Inhaltsverzeichnis kommt man doch aber wegen des geringen Schriftgrades leicht auf unter 1,5pt im Mittel. Oder soll die »relative Sperrung« zu kleinen Schriftgrad hin zunehmen?

Versalsatz zu vermeiden empfiehlt sich schon deshalb, weil es eine ziemliche Fieselarbeit ist, alles individuell zu sperren. Aber wenn man Abkürzungen oder Akronyme verwendet, kommt man kaum drumrum. Könnte man nicht im LaTeX-Kern für verschiedene Schriften und Grade Sperrtabellen hinterlegen, in denen drinsteht, um wieviel welche Buchstabenkombination gesperrt werden soll? Da müßte halt mal jemand alle möglichen Buchstabenkombinationen sperren, bei einer Hand voll Schriftgraden, aber es gibt ja zum Beispiel auch Bücher mit Integralen bzw. Stammfunktionen, die irgendwann mal jemand alle ausgerechnet hat.

Bild von Markus Kohm

Woher die 1,5 Punkt (übrigens als kleinster mittlerer Wert, nicht als absolut kleinster Wert) kommen, habe ich angegeben: von Tschichold in seinem Büchlein »Erfreuliche Drucksachen durch gute Typographie«. Wie er letztlich darauf kommt, kann ich Dir nicht sagen. Allerdings ist bei kleinen Schriftgraden die Lineinstärke im Verhältnis zur Breite oder Höhe der Buchstaben größer (oder sollte sei sein). Ebenso sollten die Buchstaben im Verhältnis zur Höhe breiter sein. Dadurch wirkt Versalsatz noch dichter als bei größeren Schriftgraden. Also sollte bei kleinen Schriftgrade zum Ausgleich des Grauwerts stärker gesperrt werden. Zumindest erscheint mir das logisch. Eine Rolle könnte auch spielen, dass Versalsatz sehr plakativ wirkt und Versalsatz innerhalb des Fließtextes ohnehin in einem etwas kleineren Schriftgrad gesetzt werden sollte. Damit wird er bei kleinen Schriftgraden insgesamt wohl eher problematisch.

Diese unerschiedlich starke Sperrung bei unterschiedlichen Schriftgraden ist auch gleich ein Grund, warum die Kerning-Tabellen als möglicher Automatismus alleine nicht genügen. Wir verwenden heute Fonts nicht nur in ihrer Entwurfsgröße. Das Kerning müsste also bei Verkleinerung oder Vergrößerung nicht mit einem statischen Faktor, sondern mit irgend einer schlauen Funktion verkleinert oder vergrößert werden. Das ist AFAIK nicht vorgesehen.

Darüber hinaus ist die Größe der Kerning-Tabellen AFAIR zumindest bei TeX begrenzt. Auch sind bereits heute bei vielen Fonts nur sehr wenige Versalien-Paare in den Tabellen enthalten.

BTW: \KOMAScript ist bei den KOMA-Script-Klassen und Paketen als

\DeclareRobustCommand{\KOMAScript}{\textsf{K\kern.05em O\kern.05em%
      M\kern.05em A\kern.1em-\kern.1em Script}}

definiert. Mit der Schrift im KOMA-Script-Buch empfinde ich das trotz Anwendung bei unterschiedlichen Größen und Gewichten als recht guten Kompromiss.

[…] Allerdings ist bei kleinen Schriftgraden die Lineinstärke im Verhältnis zur Breite oder Höhe der Buchstaben größer (oder sollte sei sein). Ebenso sollten die Buchstaben im Verhältnis zur Höhe breiter sein. Dadurch wirkt Versalsatz noch dichter als bei größeren Schriftgraden. Also sollte bei kleinen Schriftgrade zum Ausgleich des Grauwerts stärker gesperrt werden. Zumindest erscheint mir das logisch. […]

Ja, klingt logisch. Ich kenne aber nur eine Schrift, die für verschiedene Grade auch verschiedene Schnitte hat: Latin Modern. Vielleicht hat das auch die Computer Modern, keine Ahnung. Müßte man in so einem Fall dann doch wieder mit pt sperren?

Eine Rolle könnte auch spielen, dass Versalsatz sehr plakativ wirkt und Versalsatz innerhalb des Fließtextes ohnehin in einem etwas kleineren Schriftgrad gesetzt werden sollte. Damit wird er bei kleinen Schriftgraden insgesamt wohl eher problematisch.

Leuchtet auch ein, aber was macht man dann, wenn man solche Abkürzungen in Fußnoten verwenden muß? Es kann sich ja nicht der Text einer einzigen typografischen Regel unterordnen.

Diese unerschiedlich starke Sperrung bei unterschiedlichen Schriftgraden ist auch gleich ein Grund, warum die Kerning-Tabellen als möglicher Automatismus alleine nicht genügen. Wir verwenden heute Fonts nicht nur in ihrer Entwurfsgröße. Das Kerning müsste also bei Verkleinerung oder Vergrößerung nicht mit einem statischen Faktor, sondern mit irgend einer schlauen Funktion verkleinert oder vergrößert werden. Das ist AFAIK nicht vorgesehen.

Darüber hinaus ist die Größe der Kerning-Tabellen AFAIR zumindest bei TeX begrenzt. Auch sind bereits heute bei vielen Fonts nur sehr wenige Versalien-Paare in den Tabellen enthalten.

Ich würde das nicht mit einer Funktione dem Schriftgrad anpassen, sondern für jeden Schriftgrad aus einer Auswahl von Graden eine Tabelle anlegen, also zum Beispiel für die Grade 6pt, 8pt, 10pt, 11pt, 12pt, 14pt und vielleicht noch ein paar. Wenn das nicht dort hinpaßt, wo man sowas bisher üblicherweise gemacht hat, muß es eben woanders hin. Ich hatte auch schon die Idee, daß man das in einem Paket umsetzen kann. Aber dann müßten die Leute dieses Paket jedesmal einbinden, deswegen würde ich das in den Kern packen. Erst dann wird wirklich automatisch gesperrt, wirklich immer. Man könnte das ja per Klassenoption wieder deaktivieren, aber lieber Opt-out als Opt-in.

Zweiter Versuch, ist meine Sperrung zu stark? Ist wie beim ersten Versuch gesperrt, aber mit deinem \KOMAScript zum Vergleich.

Bild von Markus Kohm

Es gibt durchaus eine ganze Reihe an Fonts mit unterschiedlichen Design-Größen. Das beginnt bereits mit Computer Modern. Dazu gibt es bei kleinen Schriftgraden auch noch Hinting, Subpixel-Rendering oder Antialiasing. Diese werden allerdings meist eher dazu verwendet, dass die Fonts beim Skalieren nicht zu fett werden. Und auch bei einigen teuren kommerziellen Fonts gibt es teilweise unterschiedliche Entwurfsgrößen.

Dass es Texte gibt, bei denen man typografische Grundregeln verletzen muss, um sie überhaupt setzen zu können, ist unstrittig. Ob die Lösung dann trotz dieser Regelverletzungen typogragfisch ansprechend ist, hängt vom Genie des verantwortlichen Typografen ab. Ich habe da keine Antwort, schon gar keine allgemeingültige. Auf die Sperrung bezogen gehe ich davon aus, dass Tschichold die min. 1,5 Punkt auf normal große Texte bezieht. Wenn man es ins Extrem treibt, wären 1,5 Punkt Sperrung bei einer 1-Punkt-Schrift sicher nicht mehr sinnvoll (davon abgesehen, dass eine solche Schrift ingesamt schon lange nicht mehr sinnvoll ist). Irgendwo muss also eine Grenze gezogen werden.

Diverse Fontgrößen auf diskrete abzubilden ist eine kritische Angelegenheit. Bei CM und EC wird das gemacht und hart bemängelt. Aus typografischer Sicht ist es tatsächlich sehr, sehr sinnvoll, nur einige wenige Schriftgrade zu verwenden. Allerdings wollen unterschiedliche Anwender unterschiedliche, wenige Schriftgrade. Daraus resultieren dann auch die Probleme, die aus diesem Umstand bei CM und EC resultieren. Das beginnt schon damit, dass manche Leute ungeachtet des geringen Unterschieds eben keine 10-pt-, sondern eine 10-bp-Schrift wollen und endet nicht damit, dass es Leute gibt, die unbedingt eine noch kleinere oder eine noch größere Schrift wollen, als eigentlich verfügbar ist.

Trotzdem läuft Deine Idee, IMHO auf eine Änderung an TeX selbst hinaus. Die Sperrung rein auf Makroebene zu realisieren halte ich für extrem aufwändig. Eine Erweiterung der Möglichkeiten von pdfTeX und luaTeX um Sperrtabellen wäre hier in meinen Augen effektiver. Bei luaTeX könnte man das eventuell auf lua-Ebene realisieren. So tief bin ich aber noch nicht in luaTeX eingestiegen, um dazu irgend etwas sagen zu können.

In Deinem Beispiel gefällt mir die erste Zeile sowohl im Inhaltsverzeichnis als auch in der Überschrift besser als die zweite. Ob die Sperrung zu stark ist, kann ich derart losgelöst von der Umgebung nicht sagen. Am deutlichsten wird das, wenn das Versalwort irgendwo in einer Seite voller Text steht. Wenn es herausragt ist es entweder zu weit oder zu eng gesetzt. Ich mache das auch viel zu selten, um mal eben auf einen Blick eine Entscheidung treffen zu können. In der zweiten Zeile ist mir vor allem die Sperrung um das O zu groß. Es wäre aber auch keine Regelverletzung links davon unter 1,5 pt zu gehen, da damit der Durchschnitt noch immer passen würde. Aber wie gesagt: Das ist nur ein Bauchgefühl keine abschließende Bewertung. Ich würde nicht einmal ein Ergebnis bei einer Abstimmung vorhersagen wollen.

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